Sonntag, 10. März 2013

Sommerliche acht Grad

Die milden Temperaturen küssen uns aus dem Winterschlaf. Sie locken uns ins Freie. Geht man in der Schweiz bei Sonnenschein nicht raus, gilt dies geradezu als Schande. In anderen Breitengraden sieht man das weniger eng…   


Gestern war ich ohne Jacke draussen. Ich spürte förmlich, wie sich die Mamas dieser Welt die Haare raufen. Doch ich hatte den ganzen Winter über mehr gefroren mit Jacke. Wenn man so lange in Minusgraden schlottert, sind warme acht Grad geradezu sommerlich. Und ich war keineswegs die Einzige, die das so sah. An der Limmat tummelten sich Menschen und Hunde. Alle waren sie aus ihren Löchern gekrochen um zu spazieren, Gassi zu gehen, zu joggen, Fangen zu spielen, Gras zu rauchen.   
Man gewöhnt sich an Temperaturen. Wie viele dieser Menschen würden im Hochsommer bei acht Grad rausgehen? Ich behaupte mal, die wenigsten freiwillig. Soeben ist eine E-Mail reingekommen von einem Freund, der in Thailand lebt. „Bei uns war es letzte Woche kalt und hat geregnet. Ich habe richtig gefroren, wir hatten nur etwa 24 Grad…
Was allerdings auch einmal gesagt werden muss: Wir Schweizer sind im Allgemeinen extrem dankbar für jeden Sonnenstrahl. Kaum blinzelt die Sonne hinter den Wolken hervor, haben wir das ausgesprochene Verlangen, nach draussen zu gehen. Bei Sonnenschein ins Museum, Kino, Bowlen oder gar Fernsehen? „Spinnsch?? Bi dem Wätter?!“ 
Hat jemand schon mal versucht, dies jemandem in Mexiko oder in Thailand zu erklären? Auf Verständnis stösst man jedenfalls nicht. „Das Wetter ist doch immer so, wann möchtest du denn sonst ins Museum?“ 
Auf Rucksackreise in Vietnam ging ich in Hoi An in ein Internetcafé, um E-Mails zu beantworten. Es war ein wunderschöner Sonnentag. Doch was sah ich, als ich reinkam? Erstens: Jeder Platz war besetzt. Zweitens: Das Internetcafe war vielmehr ein Zockerparadies. An jedem Computer sass ein etwa zehnjähriger, kippenrauchender Junge, vertieft darin, online irgendwas abzuknallen. Und draussen Wetter, von dem wir in der Schweiz nur träumen können! Ich war ziemlich erschüttert. 
Trotzdem ergab das Ganze perfekten Sinn. In Vietnam ist Internet das, was die Wenigsten haben und deshalb alle wollen. Bei uns sind es Sonnenstrahlen. 


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