Samstag, 16. März 2013

Das Trott-Ich und das Reise-Ich

„In den Ferien sind Schweizer andere Menschen“. Dies war vor einiger Zeit der Slogan eines Schweizer Reiseanbieters. Für einmal hatte uns die Werbung nicht belogen.  


Besonders wenn Herr und Frau Schweizer länger unterwegs sind, also nicht in den Ferien, sondern auf Reisen, erkennt man sie kaum wieder.
Der unfreundliche Stadt-Stereotyp, der keine Fremden grüssen oder auch nur ansehen würde. Der leicht reizbare Pendler, der einen Beschwerdebrief schreibt, wenn der Zug vier Minuten Verspätung hatte. Die Klischeedame, die eine allergische Reaktion bekommt, wenn jemand im Tram zu laut telefoniert.
Diese Figuren scheinen auf Reisen nicht zu existieren. Sie verwandeln sich in kontaktfreudige, unbesorgte Menschen, die über Fischmärkte schlendern, mittags ein Bierchen trinken, in der Holzklasse eines Zuges mit halbstündiger Verspätung mitfahren, über Preise verhandeln oder sich in prickelnde Abendteuer mit Unbekannten stürzen.
Viele von Ihnen nehmen sich vor, nach Ihrer Rückkehr genauso entspannt zu bleiben wie während der Reise. Doch kaum sind sie wieder in ihrem gewohnten Umfeld, verfallen sie dem alten Trott.
Es beginnt bereits auf dem Weg vom Flughafen nach Hause. Hier sitzt man nun in seinen bequemen Reiseklamotten, mit tausend Erinnerungen im Herzen und einem einzigen Klumpen Jetlag im Kopf. Etwas melancholisch, etwas glücklich, etwas verwirrt. Man muss enorm aufpassen, dass man ja nicht zu fest rumlächelt und später im Coop nicht aus Reflex versucht, über Preise zu verhandeln. Dass man im Zug keine fremden Menschen anspricht. Dass man als Zürcherin bloss nicht zu freundlich ist, weil man sonst für verrückt gehalten wird...
Wir Schweizer haben zwei Ich's: Das Trott-Ich und das Reise-Ich. Und wir sind äusserst anpassungsfähig. Spätestens nach einer Dusche im eigenen Bad hat bei den Meisten das Trott-Ich wieder die Oberhand gewonnen.

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